„Deutschlands größte wissenschaftliche Mitmachaktion“ nennt der NABU effekthascherisch seine Aktion, bei der alle aufgerufen sind, eine Stunde lang an einem beliebigen Ort alle Vögel zu zählen und die Ergebnisse zu melden. Die Zählungen werden dann gesammelt und „wissenschaftlich“ ausgewertet. Das Ergebnis im Januar 2023 war, dass diesmal deutlich weniger Vögel gezählt wurden.

Doch was bedeutet dieses Ergebnis? Dass es weniger Vögel gibt als im Vorjahr? Dass die Vögel mehr Futter in der Natur finden und deshalb weniger in den Gärten sind, wo die meisten Zählungen stattfinden? Dass es an den einzelnen Futterstellen weniger Vögel sind, weil inzwischen mehr Menschen Futterstellen eingerichtet haben? Dass das Wetter besser war als bei der letzten Zählung? Dass immer mehr Menschen nicht mehr richtig zählen können? Tja, kann alles sein, das läßt sich so aber wissenschaftlich weder verifizieren noch falsifizieren.

Wissenschaftlich belastbar ist nur folgendes Ergebnis: Dass im Januar 2023 weniger Vögel als im Januar 2022 gezählt wurden, bedeutet, dass im Januar 2023 weniger Vögel gezählt wurden als im Januar 2022.

Alles andere ist Spekulation.

Im Gegensatz dazu sieht wissenschaftlich sinnvolle Zählung so aus: Auf bundesweit repräsentativen Probeflächen von jeweils 1 qkm finden zwischen März und Juni vier Begehungen entlang einer rund 3 km langen Route statt. Ornithologen zählen dann v.a. mit dem Gehör, welche Arten wie oft vorkommen. Dabei wird angenommen, dass es gleich viele Männchen wie Weibchen gibt, die Zahl der singenden Männchen wird also für die Gesamtanzahl jeder Art verdoppelt.

In meinem Garten beobachte ich zumindest bei den häufig vorkommenden Arten verschiedene Phasen: Mal sind viele Blaukehlchen da, mal eher Kohlmeisen, manchmal auch beide gleichzeitig, mal Buch- und Bergfinken zusammen, mal nur Spatzen, mal eine Gruppe Schwanzmeisen, mal Stieglitze, gerne zusammen mit Zeisigen und manchmal auch nur Zeisige. Je nachdem, welche Stunde ich zum Zählen wählte, hätte ich also ein ganz anderes Ergebnis.

Ein weiteres Indiz für die Unwissenschaftlichkeit oder zumindest Ungenauigkeit der Methode ist folgende Merkwürdigkeit: Der Feldsperling landet bei den Zählungen regelmäßig auf einem vorderen Platz, dieses Mal ist es Platz 5. Ich habe an meinen Futterstellen inzwischen 31 Vogelarten beobachtet, im Garten außerhalb der Futterstellen noch einmal 8 weitere, doch ein Feldsperling ist hier noch nie aufgetaucht. Dabei wohne ich auf dem Land in der Nähe von Wald, Buschland und Naturschutzgebieten. Meine Vermutung ist, dass sehr oft andere Vögel irrtümlich für Feldsperlinge gehalten werden. Das Foto oben zeigt zwei Feldsperlinge, ich habe die beiden in einem Naturschutzgebiet in Hessen beobachtet.

Fazit: Die privaten Vogelzählungen sind ein nettes Vergnügen, gerade für Kinder, und sie helfen mit, etwas mehr Bezug zu den Vögelchen im Garten zu bekommen. Der wissenschaftliche Nutzen ist eher marginal. Und die Gefahr ist groß, dass sich viele Teilnehmer*innen einbilden, etwas für den Naturschutz zu tun. Gerade wegen der hochtrabenden Beschreibung der Aktion durch den NABU kann die Aktion leicht eine ähnliche Alibifunktion bekommen wie das Wegbringen von Glas und Papier (am besten mit dem SUV…) zum Container.

Ekkehard Mantel

 

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